Maurus Frey
zeigt sich enttäuscht über die Ergebnisse der Bundesratswahl.
Wer kennt sie nicht, die Shoppingcenter, die Teil unserer Alltagserfahrungen geworden sind und als «dekorierte Schuppen» sich unübersehbar in der Schweizer Agglomeration verbreitet haben. Das Museum im Bellpark widmet dem Phänomen vom 24. August bis 10. November 2019 (Vernissage ist am 23. August 2019) eine eigene Ausstellung und thematisiert die Rolle dieser besonderen Orte, wo sich soziale, architektonische und ökonomische Utopien und Projektionen treffen.
Aber wie sieht die Situation heute aus: Sind die alten Verheissungen der Konsumtempel durch den aufkommenden digitalen Markt bedroht? Müssen wir annehmen, dass die Einkaufszentren schon bald die leerstehenden Brachen sein werden, welche von der Siedlung Schweiz ausgeschieden werden? An der Schwelle zu einer Neudefinition des Shoppingcenters beschäftigt sich die Ausstellung mit der Geschichte und den grossen Veränderungen des modernen Markplatzes im Zeitalter des Internetshoppings.
Seit den 1970er Jahren haben sie sich entlang der neu gebauten Verkehrsadern in den suburbanen Zonen etabliert und sind als «dekorierte Schuppen» zu unübersehbaren Landmarken in der Schweizer Agglomeration geworden. Die Shoppingcenter stehen für die Modernisierung des Schweizer Alltags und versprechen nicht weniger als paradiesische Verhältnisse. In der heutigen Infrastruktur sind sie ein wichtiger Bestandteil und darüber hinaus ein optisch prägender Aspekt unserer täglichen Erfahrung.
Die Shoppings wurden in aktuellen Betrachtungen zum Thema als «Museen der Dinge und Marken» bezeichnet und als die «zeitgenössischen Ausstellungsräume überhaupt» beschrieben. Aus unserer Sicht – derjenigen eines Museums – beeindrucken uns die bizarren und vielseitigen Displays, die wir interessiert beobachten und die uns unerreichbar erscheinen. Die Recherche zu unserer Ausstellung fokussiert auf die Innenwelten der Einkaufszentren, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahr-hunderts unter dem Diktum eines modernen Lebens als Bühnen des Konsums etabliert haben. Die Faszination für diese Plattform des Konsums ist also angeregt durch einen vergleichenden Blick und das Interesse an den musealen Settings der Alltagskultur.
Die Ausstellung nutzt für die Betrachtung dieser «Displays» Bildbestände und Filmmaterial aus privaten und öffentlichen Archiven, darunter das Coop Zentralarchiv Basel und das Archiv des Migros Genossenschaftsbundes Zürich. Vom «Einkaufen ohne Zeitverlust» aus den Zeiten der ersten Selbstbedienungsläden bis hin zur Bewertung von falsch und richtig eingeordneten Regalen geht diese Selbstbetrachtung der Anbieter. Viele Bilder stammen von Amateuren, die uns liebevoll zu diesen Bühnen der Dinge und Marken hinführen. Den aktuellen Zustand dieser Konsumtempel zeigt uns die Fotodokumentation des Designers David Jäggi. Er beschäftigt sich in seiner detaillierten und aktuellen Recherche über «Die schönsten Shoppingcenter der Schweiz» mit der Gestaltung dieser paradiesischen Welten, in denen auch der Raum zwischen den Einkaufsflächen einem präzisen planerischen Programm unterliegt.
Die Ausstellung bewertet weiterhin das Einkaufszentrum als eine architektonische Aufgabe. Am Beispiel des ersten Shoppingcenters der Schweiz, dem Schönbühl Center in Luzern, machen wir Grundfragen der Konzeption und der architektonischen Bearbeitung sichtbar. Erste Studien für diesen Bau stammen vom Architekt und Stadtplaner Walter R. Hunziker, gebaut wurde das 1967 eröffnete Shoppingcenter Schönbühl von Alfred Roth und Aalvar Aalto. Das gta Archiv der ETH Zürich hat uns Plan- und Bildmaterial zu diesem Prototypen zur Verfügung gestellt.
Die Realisierung des Shoppingcenters Spreitenbach ist mit der Erfindung eines neuen Lebensentwurf verbunden. «Wir bauen ein Paradies» hiess es damals in der Ankündigung für das neue Einkaufszentrum. Das Shopping sollte entsprechend den Vorgaben des amerikanischen Planers und Pioniers Victor Gruen zu einem umfassenden Erlebnis für die ganze Familie werden. Dabei ist das Einkaufen eingebettet in eine Reihe von begleitenden Aktivitäten, wie kulturellen Veranstaltungen, sportlichen Aktivitäten oder Unterhaltungsangeboten. Die Bilder von Emanuel Ammon erzählen von diesen Fantasiewelten mit Skiakrobatik im Sommer, Bötlifahrten im Wasserbecken und den Eventanlässen mit Fernsehprominenz. Die Ausstellung weist auch auf die kritischen Stimmen hin, die schon bald nach der Realisierung der neuen Stadtkonzepte mit Einkaufszentren laut wurden. Rolf Keller spricht in seinem Buch «Bauen als Umweltzerstörung» (1973) davon, dass die Shoppingcenter die Isolation fördern würden und so die «öden Wohnquartiere zusätzlich veröden» lassen würden. Die Fotografen Goran Galić betrachtet Spreitenbach aus einer zeitgemässen Perspektive.
Wir stellen mit dem Architekten Walter R. Hunziker jenen Stadtplaner vor, welcher massgeblich an der Entwicklung der Konzepte für die ersten Einkaufszentren in der Schweiz mitgearbeitet hat. Mit seiner in den USA erworbenen Ausbildung war er für den Transfer der Ideen und neuesten Konzepte in die Schweiz zuständig. Walter R. Hunziker erzählt als Zeitzeuge in einem Interview mit Fabian Furter von seinen Erfahrungen und der äusserst produktiven Aufbruchsstimmung jener Jahre. Einzelne seiner Projekte und Studien sind im Rahmen der Ausstellung ausgestellt und neu zu beurteilen.
Wie viele andere Paradiese so sind heute auch die Verheissungen der alten Konsumtempel bedroht. Unser Nachdenken über die Shoppingcenter geht aus von der Einsicht, dass diese Inszenierungen der Warenwelt einer grundsätzlichen Veränderung unterliegen. Eindrücklich zeigt uns Reto Caduff in seinem Feature die Ruinen der Konsumtempel in den USA, welche bedingt durch die wirtschaftliche Krise und gefördert durch die grossen Veränderungen mit dem digitalen Einkaufen im Detailhandel zu Leerbeständen führen. Müssen wir annehmen, dass diese Entwicklungen auch in der Schweiz spürbar werden? Sind die Einkaufszentren die neuen Brachen, welche die Siedlung Schweiz schon bald ausscheiden wird? An der Schwelle zu einer Neudefinition der Shoppingcenter beschäftigt sich die Ausstellung im Museum im Bellpark mit der Geschichte und der aktuellen Ausformung des Phänomens.
pd/sk
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